Lesung der Journalistin und Publizistin Andrea von Treuenfeld
aus ihrem Buch „Jüdisch Jetzt!“

Mit ihrem Buch versucht die Journalistin mit 26 Interviewpartnern deren persönliche Sichtweisen, Erfahrungen und das Lebensgefühl der sogenannten dritten Generation nach der Shoa zu ergründen: So betont die 1981 geborene und heute in München lebende Schriftstellerin Lena Gorelik die Sonderstellung als einziges jüdisches Kind in einer kleinen schwäbischen Stadt und den schwierigen Umgang mit Menschen heute, die – statt sie als Autorin zu sehen – ihre Identität als Jüdin in den Vordergrund stellen. Der Umgang mit der Vergangenheit ist Thema, wenn Jonathan Kalmanovich, als Rapper Ben Salomo bekannt, von seinem Opa erzählt, der sein Gebiss auf den Tisch legte und ihm erklärte, dass ihm als Elfjähriger ein Wehrmachtssoldat mit einem Gewehrkolben die Zähne ausgeschlagen hatte – und das nur, weil er Jude war. So etwas hinterließ bei Jonathan ebenso Spuren wie die Tatsache, dass er als Elfjähriger sein Davidsternkettchen verstecken musste, weil seine Mutter Angst um ihn hatte, während andere Jungs in seinem Alter Kettchen mit Kreuz oder Halbmond unbekümmert trugen.
Weitere Aspekte jüdischen Lebens werden anhand der Ausführungen von Helene Braun klar, die zurzeit an ihrem Master in jüdischer Theologie an der Universität in Potsdam arbeitet; dieser ist die Arbeit in den Bereichen Nachhaltigkeit, Feminismus, Queerness und der interreligiöse Dialog enorm wichtig. Die Lesung führte den Anwesenden mittels persönlicher Erlebnisse und Eindrücke vor Augen, wie Ablehnung, Ausgrenzung und „Antisemitismus“ schon im Kleinen beginnt und die „dritte Generation“ heute belastet.
Dass sich seit dem 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, auch für die Menschen, die sie zuvor interviewt hatte, einiges geändert hat, betonte Andrea von Treuenfeld besonders. Gerade in Berlin erhielten Jüdinnen und Juden seit diesem Zeitpunkt vermehrt Drohungen, Häuser und Wohnungen wurden mit Davidsternen markiert und die Angst sei gewachsen.
Dabei ist gerade ihr Buch ein Plädoyer dafür, die Menschen zu sehen, und den öffentlichen Diskurs über Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht auf den israelisch-palästinensischen Konflikt oder die Shoa zu beschränken. Wir alle hier in Deutschland hätten keine Schuld, durchaus aber eine Verantwortung, so die Journalistin, dass das „nie wieder“ nicht nur Worte bleiben. Hannah von Schroeders, Pastorin der evangelischen Gemeinde, die dankenswerterweise die Lesung organisierte und auch die Fragen im Anschluss wunderbar moderierte, verwies in diesem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung der Thematik im Chiemgau: Hier gebe es heute im Vergleich zu Berlin kein jüdisches Leben, keine „Community“ – aber oftmals auch keine Auseinandersetzung. Gerade deshalb sei es wichtig, aufzuklären, um uralte Klischees zu verhindern. Am 7. November habe Friedbert Mühldorfer sein neues Buch „Aus Traunstein ‚freiwillig verzogen‘ – Die Vertreibung der jüdischen Familie Holzner in der Pogromnacht 1938“ vorgestellt. Das Denkmal unweit des Annette-Kolb-Gymnasiums ist vielen bekannt.
Hoffen wir, dass diese Lesung und die Auseinandersetzung mit Biografien die Augen öffnet für mehr Toleranz und Wachsamkeit gegenüber Vorurteilen und Ausgrenzung.